Geometrische Kunst: Von Abstraktion bis Kubismus
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15. Juni 2020Der Begriff "Kubismus" leitet sich vom lateinischen Wort „cubus“ und dem französischen Wort „cube“ (Würfel) ab. Diese avantgardistische Kunstrichtung entstand um 1906 in Frankreich und zeichnet sich durch die Verwendung geometrischer Formen aus.
Der Kubismus wird hauptsächlich in zwei Stile unterteilt: den analytischen und den synthetischen Kubismus. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Kunstrichtung zählen Pablo Picasso, Georges Braque und Juan Gris sowie die Puteaux-Gruppe. Insbesondere Picasso und Braque gelten als die Begründer des Kubismus.
Kunsthistorische Einleitung
Traditionell verstand man unter Malerei die realistische Abbildung der Natur. In den frühen Epochen der Kunstgeschichte, wie der Renaissance und dem Barock, lag der Fokus darauf, die Welt um uns herum möglichst naturgetreu darzustellen. Künstler perfektionierten Techniken wie Perspektive, Schattierung und Proportion, um ihre Werke lebendig und realistisch wirken zu lassen.
Erst im 18. Jahrhundert begann sich die Kunst von diesem rein realistischen Ansatz zu lösen. Die Ästhetik trat in den Vordergrund, und Künstler begannen, die Form und den Ausdruck ihrer Werke bewusster zu gestalten. Diese Entwicklung führte dazu, dass die Malerei einen geistigen Kern erhielt, der über die bloße Abbildung hinausging. Die Kunst wurde zunehmend als Mittel zur Darstellung von Emotionen, Ideen und inneren Visionen genutzt.
Der Kubismus entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts und löste den Fauvismus ab, der durch seine leuchtenden Farben und die expressive Darstellung von Raum und Form bekannt war. Obwohl es kein offizielles kubistisches Manifest gibt, gilt der Kubismus als eine der revolutionärsten Kunstrichtungen der Geschichte. Er markiert den Beginn einer neuen künstlerischen Ordnung und der modernen Kunst.
Eine wichtige Inspirationsquelle für die Begründer des Kubismus, Pablo Picasso und Georges Braque, war Paul Cézanne. Sein Werk „Les Grandes Baigneuses“ beeinflusste die kubistischen Künstler erheblich, da Cézanne einen freieren Umgang mit der Darstellung von Natur, Formen und Perspektiven pflegte.
Die Kunst hat Schwingen, die Wissenschaft gibt Krücken.
Ursprung des Kubismus
Der Begriff "Kubismus" wurde erstmals vom französischen Schriftsteller und Dichter Charles Morice verwendet, als er 1909 in der Zeitschrift „Mercure de France“ die Werke von Georges Braque beschrieb. Einer der bedeutendsten Kunstkritiker der Zeit, Louis Vauxcelles, spielte ebenfalls eine maßgebliche Rolle bei der Begriffssetzung. Er assoziierte den „cubisme“ sowohl mit Braque als auch mit den frühen Gemälden von Pablo Picasso. Henri Matisse soll 1908 im Zusammenhang mit einem Kunstwerk von Braque von kleinen Würfeln gesprochen haben, was ebenfalls zur Namensgebung beitrug.
Viele Kunsthistoriker und Galeristen warnen davor, den Begriff Kubismus zu wörtlich zu nehmen, wie es in den ersten Jahren der Fall war. Picasso und Braque ging es nicht um die Darstellung geometrisch abstrakter Formen an sich, sondern um eine neue Art der Darstellung von Gegenständen. Sie wollten die Realität aufbrechen und aus verschiedenen Perspektiven gleichzeitig zeigen.
Abgesehen von der Wortschöpfung wird Picasso mit seinen Werken um 1906, insbesondere „Brustbild einer Frau mit gefalteten Händen“, als Begründer der Stilrichtung gesehen. Diese experimentelle Phase des Übergangs zwischen zwei Kunstrichtungen wird Proto-Kubismus genannt.
Pablo Picasso und der Kubismus
Pablo Picasso beschäftigte sich in der explorativen Phase des Proto-Kubismus mit verschiedenen Künstlern und Kunstrichtungen: der Mosaikkunst von Paolo Uccello, der Frührenaissance von Piero della Francesca, dem spanischen Manierismus von El Greco sowie dem Primitivismus der Italiener und Flamen. Sein Werk von 1907, „Les Demoiselles d'Avignon“, gilt als einleitendes Werk und Vorreiter für alle folgenden kubistischen Bilder und markiert, zusammen mit Werken von Henri Matisse, den Beginn der modernen Kunst.
Zunächst wurden die „Demoiselles“ sowohl von Matisse als auch von Braque abwertend empfangen. Erst später erkannten Picasso und Braque, dass viele ihrer Werke signifikante Ähnlichkeiten aufwiesen. Ab Ende 1908 hatten sie fast täglichen Austausch und entwickelten ihre kubistischen Ideen gemeinsam weiter. Die beiden wurden unter dem Namen „la cordée“ (die Seilschaft) bekannt und pflegten eine enge berufliche Partnerschaft.
Die erste Kubismus-Ausstellung fand 1908 in der Galerie Kahnweiler statt, bei der der Begriff von Louis Vauxcelles zum ersten Mal verwendet wurde. Nur kurze Zeit später hatte sich der Begriff „Kubismus“ in der Kunstszene etabliert.
Frühkubismus
Den Kubismus mathematisch und geometrisch zu erklären, war für Pablo Picasso pure Literatur. Für ihn war der Kubismus ein Mittel des Ausdrucks und der Formveranschaulichung – eine Methode, um etwas Dreidimensionales in einem Raum auf eine zweidimensionale Leinwand zu bringen. Das Besondere daran ist, dass die Abstraktion trotz Geometrie nicht im Mittelpunkt steht; im Gegenteil: der Fokus liegt auf der höchstmöglichen Natur-, Form- und Farbentreue.
Georges Braque fertigte in dieser Schaffensperiode das Stillleben „Violine und Krug“ an, ein Werk, das zeigt, wie intensiv er sich mit der Analyse des Gegenstandes beschäftigte. Er minimierte die Farbpalette auf Grau- und Brauntöne, um die Formen stärker hervorzuheben. Von Picasso stammt das frühkubistische Werk „Dryade (Akt im Wald)“ aus dem Jahr 1908, das ebenfalls diese Prinzipien verdeutlicht.
Da beide Künstler zuvor auf Unverständnis und Ablehnung seitens des Herbstsalons gestoßen waren, entschieden sie sich, nicht mehr dort auszustellen. Stattdessen bevorzugten sie die Galerien von Daniel-Henry Kahnweiler oder Ambroise Vollard. Zudem strebten sie an, das Persönliche in ihren Werken zurückzunehmen, was dazu führte, dass sie ihre Bilder selten bis gar nicht signierten.
Analytischer Kubismus
Der analytische Kubismus erstreckt sich auf die Jahre zwischen 1907 und 1911 und markiert die Anfänge des Kubismus. In dieser Phase ging es primär darum, Objekte in ihre geometrischen Grundformen zu zerlegen und sie aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen. Diese Periode wird auch als Hauptphase des Kubismus bezeichnet, in der die Künstler vorwiegend wenige, blasse Farben verwendeten, um zu verhindern, dass die geometrischen Formen und Figuren des Werkes überschattet wurden.
Licht und Lichtverhältnisse spielten im analytischen Kubismus eine sekundäre Rolle. Oft wurde nicht einmal darauf geachtet, von welcher Seite das Licht scheint. Auch die traditionelle Unterteilung der Bilder in Vorder- und Hintergrund wurde von Picasso und Braque über Bord geworfen. Stattdessen präsentierten sie dem Betrachter eine neue Perspektive, nämlich die der Simultaneität. Diese Technik ermöglichte es, kubistische Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln gleichzeitig zu betrachten.
1920 verfasste der deutsch-französische Kunsthistoriker und Autor Daniel-Henry Kahnweiler das Buch „Der Weg zum Kubismus“. In dieser Publikation beschreibt er den bisherigen Verlauf des Kubismus in all seinen Phasen, einschließlich des zweiten Stadiums, „Die Durchbrechung der geschlossenen Form“, und „Das Problem der Farbe“.
Synthetischer Kubismus
Der synthetische Kubismus folgte auf den analytischen und erstreckte sich auf die Jahre zwischen 1912 und 1924. In dieser Phase wagten es die Kubisten, mehr Farbe in ihre Bilder einfließen zu lassen. Objekte wurden nicht mehr nur geometrisch zerlegt und zusammengesetzt; die Künstler versuchten, sie aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen und auch nicht zusammengehörende Figuren miteinander zu verbinden.
In dieser Zeit entstand auch die Technik der Collage. Georges Braque widmete sich dem „papier collé“ (dt. Klebebild), dem Vorgänger der heutigen Collage-Technik. Zusammen mit Pablo Picasso fertigte er Plastiken aus Karton und Papier an. Später arbeitete Picasso besonders gerne mit Materialien wie Holz, Blech oder Kohle, die den Kunstwerken ein dreidimensionales Erscheinungsbild verliehen. Ein besonders erwähnenswertes Werk aus dieser Zeit ist Braques „Obstschale, Flasche und Glas“ (fr. „Compotier, bouteille et verre“) von 1912, das als Vorreiter des papier collé gilt.
Die Kubisten begannen, verschiedenste Materialien in ihre Werke zu integrieren, wodurch die Bilder materieller und realer wirkten. Neben den häufig genannten Picasso und Braque darf auch der Spanier Juan Gris nicht vergessen werden. Im Gegensatz zu Picasso und Braque war Gris' Herangehensweise viel theoretischer und rationaler. In dieser Phase widmete er sich vorwiegend Stillleben, die er mit Collage-Elementen wie Zeitungsausschnitten und Glasscherben kombinierte.
Das Ende des Kubismus
Im Chaos des Ersten Weltkrieges mussten viele Künstler den Kriegsdienst antreten, was zur gezwungenen Auflösung vieler Gruppierungen führte. Auch die Freundschaft zwischen Pablo Picasso und Georges Braque zerbrach, als Braque im Krieg eine schwere Kopfverletzung erlitt, die ihn auch charakterlich veränderte.
Der Kubismus als Kunstform stieß zu seiner Zeit oft auf Inakzeptanz und Unverständnis, dennoch war das Interesse seitens der Künstler groß. Zu den wichtigen Künstlern, die vom Kubismus beeinflusst wurden, gehören Umberto Boccioni, Wladimir Tatlin, Paul Klee und Franz Marc. Der Einfluss des Kubismus war so gewaltig, dass sich zahlreiche Bewegungen des 20. Jahrhunderts weltweit darauf stützten, darunter der Futurismus in Italien, der Orphismus in Frankreich und die Blauen Reiter in Deutschland.
Auch die Architektur wurde vom Kubismus beeinflusst, besonders in Prag finden sich kubistische und rondokubistische Elemente. Die Film- und Fotografieszene übernahm Elemente der Abstraktion und Geometrie vom Kubismus, und sogar in der Musik fand er Anklang. Der französische Komponist Erik Satie schuf das Ballett „Parade“, für das Picasso die Kostüme und das Bühnenbild entwarf.
Die kubistische Plastik florierte in den 1920er Jahren, auch wenn Picassos „Kopf einer Frau“ bereits 1909 entstand. Weitere wichtige Vertreter in der Bildhauerei waren Henri Laurens, Jacques Lipchitz und der Futurist Umberto Boccioni.